Kalter Krieg und Leben mit der Grenze im Ostseeraum

Friedensbewegungen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs

Der Kalte Krieg – im Allgemeinen verbinden sich mit diesem Ausdruck Gedanken an die Spaltung zwischen Osten und Westen, zwischen Kapitalismus und Kommunismus, mit ihren Hauptprotagonisten, den USA und der Sowjetunion. Diese Gegensätze dominierten für fast ein halbes Jahrhundert die Weltpolitik. Der „Eiserne Vorhang“ verlief durch die Ostsee und trennte Staaten und Menschen. In den Forschungen der letzten Jahre ruhte der Fokus hauptsächlich auf politischen, ökonomischen und militärischen Fragen jener, die Weltpolitik bestimmenden, Blockkonfrontation. Zunehmend rücken jedoch sozial- und alltagsgeschichtliche Aspekte in den Blickpunkt von Geschichtsanalyse und -vermittlung.

Letztere setzen auch den Schwerpunkt im Projekt „Kalter Krieg und Leben mit der Grenze im Ostseeraum“.

Seit einigen Jahren entwickelt sich im Ostseeraum ein internationales Netzwerk (Baltic Network: History from Cold War period told from historically valuable and protected sites) von Geschichtsinteressierten, Museen, Institutionen, Vereinen, die sich mit der Geschichte des Kalten Krieges auf unterschiedliche Art und Weise auseinandersetzen und sich um ihre Vermittlung bemühen. Es ist in seiner Art einzigartig und lebt hauptsächlich vom persönlichen Engagement seiner Mitwirkenden.

Während der Zusammenarbeit sind naturgemäß viele Fragestellungen aufgetaucht. Eine, die immer wieder im Raum steht, lautet: „Wie habt ihr denn die gegenseitige Abschottung und die militärische Bedrohungen erlebt? Wie war das bei euch?“- Fragen um Alltägliches, um das Arbeitsleben, Meinungsfreiheit, um das Engagement für ein friedliches Miteinander an Stelle der Blockkonfrontation, gegen die Gefahr eines atomaren Weltkrieges. Diese Perspektive ermöglicht es, die Unterschiedlichkeit, nicht nur zwischen den Gesellschaftssystemen, sondern auch die komplexen Situationen in den einzelnen Staaten und innerhalb von sozialen Gruppen zu verdeutlichen. Im engen Zusammenhang damit stehen die Auswirkungen der Politik des Kalten Krieges und seiner Ideologien in den einzelnen Ländern auf die soziale, die kulturgesellschaftliche Entwicklung wie auf jeden Einzelnen.

Aufgabe und Inhalt dieses Projektes war es, Geschichten des Alltags, biographische Erinnerungen und Originalquellen zu sammeln, zu belegen und öffentlich zugänglich zu machen. Der inhaltliche Schwerpunkt lag dabei auf der Entwicklung und den Aktivitäten der Friedensbewegungen, – initiativen im Ostseeraum. Die damit verbundenen Fragestellungen sind nicht nur grenzüberschreitend in allen beteiligten Ländern präsent, sondern weisen auch direkte Bezüge zu den konkreten historischen Orten auf.

Auf diese Weise soll nicht nur die gemeinsame Arbeit im Baltic Network unterstützt, sondern neue Anregungen und Materialien im Hinblick auf die Vermittlung dieser Vergangenheitsdimension an historischen Orten erarbeitet und Impulse zur Auseinandersetzung mit der Blockkonfrontation im Ostseeraum gegeben werden. Das Kennenlernen der jeweils anderen Geschichte soll die europäische Verständigung und den gegenseitigen Respekt vor den unterschiedlichen nationalen Vergangenheiten stärken.

Projektkonzeption

Die Geschichte des Kalten Krieges wurde bis 1990 entsprechend der ideologischen Ausrichtung in Ost und West unterschiedlich interpretiert. Auch 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bestehen alte Stereotype und Geschichtsbilder fort. In der bisherigen Geschichte des Kalten Krieges spielten Alltagserfahrungen sowie die Aktionen und Initiativen für den Frieden rund um die Ostsee, so gut wie keine Rolle, aber gerade sie bilden Anknüpfungspunkte für individuelle Erfahrungen und Erinnerungen. Damit kehren die „normalen Menschen“ in die Geschichte zurück. Doch dieser Ansatz muss verknüpft werden mit den historischen Zusammenhängen, politischen Entscheidungen und Strukturen.

Nach wie vor ist es so, dass sehr viel Unkenntnis herrscht über die Auswirkungen der Militarisierung und militärstrategischen Frontstellungen im Kalten Krieg auf das Alltagsleben der Menschen im Ostseeraum. Auch im Geschichtsunterricht der Schulen wird das Kapitel des Kalten Krieges aus der europäischen Perspektive oder eben in M-V aus der Perspektive des Ostseeraumes kaum aufgeschlagen. Vereinzelt gibt es internationale Projekte, Kunstaustellungen, Filme, Bücher.

Wir möchten mit unserem Projekt zur Verbreitung und zum Austausch von Zeugnissen und Erlebnisberichten jener Jahre beitragen, einen Erfahrungsaustausch zu den Fragen der Vermittlungsarbeit an historischen Orten zur Geschichte des Kalten Krieges organisieren und die internationale Netzwerkarbeit im Ostseeraum mit voranbringen.

Das Thema der Friedensbewegungen ist ein Bindeglied, das allen Ländern innewohnt. Sowohl in Norwegen, Schweden, Dänemark, als auch in Estland und der DDR hat es sie in verschiedenen Formen und Ausrichtungen gegeben.

Erhaltung und Erschließung von Dokumenten, biographischen Erinnerungen insbesondere zu den Friedensbewegungen

Diese Dokumente bezeugen das Leben in zwei unterschiedlichen Systemen, Diktaturen wie in der DDR und Estland und demokratischen Ländern wie Dänemark, Norwegen und Schweden: die Einen Mitglied im Warschauer Pakt, die Anderen in der NATO. Wie wirkten sich die zunehmende militärische Hochrüstung und Militarisierung der Gesellschaft in den einzelnen Staaten aus? Inwieweit beeinflusste das damit verbundene Feindbild das alltägliche Leben? Wie beeinflussten Ideologie und Politik das Leben an den verschiedenen Orten, bzw. in den direkten Grenzzonen?  Wie wirkte sich das alles auf die Entwicklung der Friedensbewegungen in den Ländern aus? Durch welche Gruppen wurden sie vornehmlich vorangetragen, welche Formen wählten sie für ihren friedenspolitischen Protest? Zu untersuchen ist hier vor allem, die Entstehung unabhängiger Friedensbewegungen Ende der 70er Jahre in den Ostblockländern im Zuge der Stationierung von SS-20-Atomraketen in der DDR und von Pershing II und Cruise-Missiles in der Bundesrepublik sowie die zunehmende Militarisierung des Alltags zB. in der DDR. Auch in Mecklenburg-Vorpommern bildeten sich vor allem innerhalb der evangelischen Kirche Gruppen heraus, die verschiedene Aktionen durchführten oder sich an landesweiten beteiligten. Dazu gehörten die jährlichen Friedensdekaden, das jährliche Vipperower Friedensseminar, der Olof-Palme-Friedensmarsch oder die Arbeitsgruppe Frieden in der Mecklenburgischen Landeskirche, die innerhalb der Offenen Arbeit der Kirche organisiert wurden. Symbole wie der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ charakterisieren ab den 80ern die Friedensbewegung auch nach außen. Zu erwähnen sind auch der Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer und die Kriegsdienstverweigerer in Uniform, so genannte Bausoldaten, die u.a. in Prora auf der Insel Rügen ihren „Spatendienst“ verrichteten und sich auf ihre Weise an der Friedensbewegung beteiligten.

Zur Illustration der offiziellen Politik der DDR dienen beispielsweise Dokumente über die als Pendant zur „Kieler Woche“ 1958 etablierte „Ostseewoche““ mit der propagandistischen Losung „Die Ostsee muss ein Meer des Friedens sein“. Dabei wurden Treffen von Kommunalpolitikern, Gewerkschaftern oder Jugendlichen aus den Ostseestaaten veranstaltet. Ziel war es, die internationale Isolierung der DDR infolge der Bonner Hallstein-Doktrin zu unterwandern und den Handel mit den skandinavischen Ländern zu erweitern. Wie war in dieser Hinsicht die Reaktion auf Seiten der skandinavischen Länder? Sie verkörperten während der Jahre des Kalten Krieges, ob als Mitglied der NATO oder bündnisfrei, ein hohes Friedenspotential, mit einer Außenpolitik, die auf militärischer Zurückhaltung basierte. Zudem unterstützten zahlreiche Organisationen (u.a. Amnesty International) in der Bundesrepublik wie auch in den skandinavischen Ländern mit Solidaritätsaktionen die Friedensbewegung in den östlichen Ländern. Auch dafür gibt es zahlreiche Zeugnisse.

Diese und andere weiter führende Aspekte sind im weiteren Verlauf der Zusammenarbeit gemeinsam bearbeitet worden. So dient die Materialsammlung nicht nur der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern zugleich direkt den Partnern, den Museen und Vereinen in den Ländern des Ostseeraums. Sie bietet zugleich eine wichtige Grundlage für weitere gemeinsame internationale Recherchen und Forschungen zum Thema sowie für gemeinsame Publikationen, Ausstellungen, Filme und eine internationale Zusammenarbeit in Fragen der Vermittlungsarbeit.

Einrichtung und Bearbeitung eines Quellenverzeichnisses mit pädagogischen Anregungen

Das Quellenverzeichnis mit den verschiedenen Rubriken als Excel-Tabelle soll auch Anregungen für die Bildungsarbeit enthalten. Dazu gehören Fragen nach den historischen, regionalen und gegenwärtigen Bezügen sowie der quellenkritischen Erschließung der Materialien. Diese Materialsammlung lässt sich später als pdf-Datei in englischer und deutscher Sprache auf ausgewählten Internetseiten einsehen und mit anderen Seiten verlinken. Damit ist dieses Angebot je nach weiteren Projekten erweiterbar, aktualisierbar und veränderbar.

Die Konzentration liegt dabei auf der Archivierung von Zeitzeugengesprächen (schriftlich, mündlich oder als Video), Büchern, Fotoalben und Filmen mit biographischen Erinnerungen bzw. Alltagschilderungen insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung der Friedensbewegungen. Eine Auswahl an Propaganda, Werbung oder Kunst können als Scans auf Extraseiten hinterlegt werden. Dabei geht es nicht nur um die offizielle Propaganda, sondern auch um aussagekräftige Beispiele aus dem breiten Spektrum oppositioneller Materialien (Texte, Zeitschriften bzw. Zeitschriften/Zeitungsartikel, Karikaturen, Kunst) aus den jeweiligen Staaten. Die Dokumente stammen vorranging aus den Partnerländern (auch in den jeweiligen Sprachen). Für die Nutzung bzw. künftige Übersetzungen sind entsprechende Urheberrechte zu berücksichtigen.

Gegenwärtig wird eine internationale Website des Baltic network: HistoryfromColdWarperiodtoldfromhistoricallyvaluableandprotectedsites mit Unterstützung des dänischen Bildungsministeriums aufgebaut. Unter anderem soll sie Videos mit Zeitzeugenberichten an historischen Orten beinhalten und zugleich Zeitzeugen an Schulen und Museen vermitteln. Mit unserer Projektarbeit läßt sich dieses Vorhaben sinnvoll auf Deutschland und die am Projekt teilnehmenden Partnereinrichtungen in Norwegen, Schweden, Dänemark und Estland erweitern und ergänzen.

Weiterhin ist geplant, in Deutschland dieses Verzeichnis mit der Internetseite von Politische Memoriale e.V. zu verbinden.

Im Folgenden finden Sie den gesamten deutschsprachigen Bericht sowie vier englischsprachige Berichte zum Projekt „Cold War in the Baltics“ sowie die abschließende Bilddatei:

Kalter Krieg im Baltikum: Teil 1 bis 5 – Erlebnisbericht einer Partnerschaft